Presse-Archiv 2002
Immer weniger Menschen können sich "normale" Mieten leisten
Engpass im sozialen Wohnungsbau
09.12.2002
Darmstadt-Dieburg - Für Menschen mit niedrigem Einkommen verschlechtert sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt zusehends. Im Landkreis ist der Bedarf an Sozialwohnungen in den zurückliegenden drei Jahren um 25 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Wohngeldempfänger mehr als verdoppelt und die Summe der staatlichen Mietzuschüsse von 1,4 auf 3,6 Millionen Euro erhöht. Die ungünstige Entwicklung hält Landrat Alfred Jakoubek für ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Situation, unter der sowohl Privathaushalte als auch Städte und Gemeinden leiden. Den Kommunen fehle das Geld, um massiv in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Zwar habe das Land in den zurückliegenden Jahren alle angemeldeten Projekte im Landkreis gefördert, inzwischen seien aber immer weniger Orte in der Lage, die notwendigen Komplementärmittel aufzubringen, so dass entsprechende Anträge kaum noch gestellt würden. Auch das anhaltende Bevölkerungswachstum lasse die Nachfrage nach preiswerten Unterkünften steigen, "schließlich zieht es nicht nur Wohlhabende nach Darmstadt-Dieburg", so der Sozialdezernent.
Die Lage: Nach der jüngsten Statistik waren zum Stichtag 1. November 2002 bei den 23 Städten und Gemeinden im Landkreis 2.419 Haushalte mit so genanntem Bindungsschein als wohnungssuchend registriert. Von den aktuellen Meldungen gelten 172 als Notstandsfälle; dazu zählen unter anderem Mieter, die ihre Bleibe wegen einer Räumungsklage, baulicher Mängel oder Gesundheitsrisiken verlassen müssen, Immigranten in Übergangswohnheimen oder ins Frauenhaus geflüchtete Mütter mit Kindern. Mit einem Anteil von 40 Prozent (961 Sozialwohnungsgesuche) stehen Ausländer ganz am Ende der Warteschlange. Große Schwierigkeiten, erschwinglichen Wohnraum zu finden, haben auch ältere Menschen (398 Anträge = 16,5 Prozent). Familien mit drei und mehr Kindern bläst ein eisiger Wind ins Gesicht. Vor zehn Jahren machte die Gruppe der Kinderreichen unter den Unterversorgten nur knapp drei Prozent aus, heute ist ihr Anteil auf mehr als 14 Prozent (351 Anträge) gestiegen. Ähnlich stark betroffen sind allein Erziehende (342 Anträge).
In den einzelnen Gemeinden stellt sich die Lage sehr unterschiedlich dar. Schaafheim meldet mit zwei Anträgen den geringsten Bedarf, Griesheim, zweitgrößte Stadt im Kreis, mit 648 Anträgen den höchsten. Die meisten Sozialwohnungen fehlen in Groß-Umstadt (326 Anträge), Pfungstadt (310), Weiterstadt (201) und Groß-Zimmern (159). Besonders stark gestiegen ist die Nachfrage in jüngerer Zeit in Groß-Umstadt, Griesheim, Roßdorf. Dreißig Fälle in Bickenbach sind zwar verhältnismäßig wenig, bedeuten aber gegenüber dem Vorjahr eine Verdoppelung. Und im beschaulichen Otzberg, wo in der Vergangenheit kaum jemand wegen einer Sozialwohnung am Rathaus anklopfte, suchen jetzt immerhin 19 Haushalte ein Obdach fürs schmale Budget. Noch deutlicher als auf dem Wohnungsmarkt äußert sich die - statistisch erfasste - Not vieler Menschen im rasanten Anstieg der Anträge auf Wohngeld. Im Jahr 2000 zahlte der Kreis insgesamt 1,4 Millionen Euro an 2.051 Bedürftige. Im laufenden Jahr erhalten mehr als 4.500 Menschen Mietzuschüsse in Höhe von insgesamt 3,6 Millionen. Dazu kommen noch 4,6 Millionen Euro Wohngeld für Sozialhilfeempfänger.
Rückblick: Hochkonjunktur hatte der soziale Wohnungsbau im Landkreis in den neunziger Jahren. Damals entstanden rund 1300 neue Wohnungen, zu denen Bund und Land Zuschüsse und Darlehen in Höhe von rund 130 Millionen Mark, Städte und Gemeinden weitere knapp 100 Millionen Mark in bar oder in Form von Bauland beisteuerten. So konnte die damals große Versorgungslücke stark verringert werden. Im Jahr 2000 standen lediglich noch rund 1900 einkommensschwache Haushalte auf der Warteliste - ein historischer Tiefstand. Doch seitdem hat sich das Blatt wieder gewendet. Gleichzeitig herrscht Ebbe in den kommunalen Kassen. Fehlanzeige bei Investitionen in den Jahren 2000 und 2001. Im laufenden Jahr erhielten Babenhausen und Pfungstadt rund 890.000 Euro Landesmittel für den Bau von insgesamt 19 Wohneinheiten. Zum Vergleich: Im Spitzenjahr 1992 wurden im Landkreis 313 Wohneinheiten mit annähernd 34 Millionen Mark gefördert.
Ausblick: In Hessen soll die Förderung in absehbarer Zeit umgestellt werden. Neue Richtlinien liegen bereits im Entwurf vor und werden in verschiedenen Gremien diskutiert, berichtet Maria Bickerle von der Sozialverwaltung. Statt der gegenwärtig vier Förderwege soll es künftig nur noch ein Programm geben, anstelle der einheitlichen Sozialmiete unterschiedliche Sätze, die sich an der örtlichen Vergleichsmiete orientieren. Auch will man künftig nicht mehr die nackte Bedarfsstatistik als alleinigen Maßstab nehmen, sondern die Vergabe der Mittel an detaillierten kommunalen Konzepten zur Wohnraumversorgung ausrichten, um dadurch regionalen Unterschieden besser Rechnung zu tragen.
db