Presse-Archiv 2004

Zeitung von Mädchen für Mädchen - Nicht kommerziell, nicht provinziell

Zehn Jahre Görls

03.06.2004

Darmstadt-Dieburg - Mode, Musik, Megastars - gut und schön, aber ist unser Horizont wirklich so beschränkt, wie die gängigen Jugendmagazine den Anschein erwecken? Beim Öko-Seminar im Kahn auf der Lahn machen sich ein paar Mädels aus dem Landkreis so ihre Gedanken und kommen zu dem Entschluss: "Wir wissen am besten, was uns interessiert, und deshalb machen wir jetzt unsere eigene Zeitung". Das war vor zehn Jahren die Geburtsstunde eines außergewöhnlichen Medienprojekts. Als kleiner Stern am Medienhimmel hat sich der Titel "Görls" bis heute gehalten und ist damit, wie Erste Kreisbeigeordnete Celine Fries erfreut feststellt, die langlebigste nicht-kommerzielle Mädchen-Zeitung in Deutschland.

Die Teenager von damals sind zwar inzwischen erwachsen, ihre Idee aber pflanzt sich fort. In das Redaktionsteam, dem in der Regel etwa ein Dutzend Mädels angehören, rücken ständig Jüngere nach. Seit den Anfängen haben mehr als hundert Schülerinnen im Alter zwischen 13 und 20 Jahren an den einzelnen Ausgaben mitgearbeitet. Gerda Weiser als zuständige Referentin vom Jugendbildungswerk des Landkreises und die Medienpädagogin Oriella Bazzica lenken, leiten, koordinieren, geben Anstöße. Für sie verkörpert das Zeitungsprojekt den Idealfall außerschulischer Bildungsarbeit: "Wir unterstützen und begleiten, was sich in Eigeninitiative entwickelt. Eine Zensur findet nicht statt". Ihre Themen suchen sich die Nachwuchs-Journalistinnen weitgehend selbst, und dabei ist der Blickwinkel unkonventionell, aber keineswegs provinziell. In jedem Heft findet man feste Rubriken. Unter der Überschrift "Frauen, die das Sagen haben" erschienen beispielsweise Interviews mit einer Feuerwehrfrau und einer kommunalen Kämmereileiterin, mit Verbraucherschutzministerin Renate Künast und - in der jüngsten Ausgabe - mit Christine Scheel, der Vorsitzenden des Finanzausschusses im Bundestag. Die Reihe "Frauen, die Geschichte machten", widmete sich unter anderem Coco Chanel, Simone de Beauvoir und Käthe Kollwitz. Unter dem Titel Berufsorientierung wurden die erste Forstwirtin in Hessen, ein weiblicher Fahrradkurier oder "Steffi auf dem Radlader", eine Landschaftsgärtnerin, vorgestellt. Die Sparte "Deutsche Mädchen in anderen Ländern" berichtet vom Praktikum, Auslandsschuljahr oder Studium etwa in Schweden, Argentinien oder Südafrika. Bei Bravo und Young Miss schauten Mädels von "Görls" den Profis über die Schulter, sie trafen Alice Schwarzer und Alfred Biolek, frühstückten mit (Ex)Arbeitsminister Riester und Bundestagspräsident Thierse und waren selbst im Hessischen und im Schweizer Fernsehen als Exotinnen im Blätterwald zu sehen.

Wirtschaft, Wissenschaft, Ökologie, Politik, deutsche Einheit, Bürgerkrieg, Schönheitsideale oder Hobbys - die Mädchen-Zeitung befasst sich mit allen möglichen Themen, auch wenn manche auf den ersten Blick weit weg wirken. Beim genauen Hinschauen ergeben sich jedoch oft schnell persönliche Anknüpfungspunkte und die Neugier der Autorinnen auf weitergehende Recherchen ist geweckt. Vor allem kritisch zu sein und Fragen zu stellen lernen die Schülerinnen bei ihren wöchentlichen Redaktionstreffen, aber auch Hartnäckigkeit und Ausdauer. "Die Mädchen haben einen hohen Qualitätsanspruch und machen sich immens viel Arbeit", erzählt Gerda Weiser. Das ist auch der Grund, weshalb es manchmal ein bisschen länger dauert, bis die nächste Ausgabe von "Görls" erscheint. Gestaltet wurden die Hefte bisher überwiegend von Grafikbüros. Auch das Layout nehmen die "Görls"-Girls nun zunehmend selbst in die Hand, nachdem das Darmstadt-Dieburger Projekt von der Europäischen Union eine Profiausstattung mit zwei Computern, Scanner und entsprechender Software für 10.000 Euro erhalten hat. Finanzielle Unterstützung gab es auch unter anderem von der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Stiftung Mitarbeit in Bonn, Frauenbüro und Asta sowie von verschiedenen Unternehmen, die mit ihren Anzeigen einen Teil der Kosten abdecken. Die "Görls" erscheint in einer Auflage von 2.500 Exemplaren und hat rund 300 Abonnenten in Deutschland, einige auch in Österreich und in der Schweiz. Die jüngste Ausgabe ist für 1 Euro in Südhessen im Zeitschriftenhandel erhältlich und kann im Landratsamt Darmstadt bestellt werden (Telefon 06151/881-1467, E-Mail: goerls@remove.this.ladadi.de).

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