Presse-Archiv 2002
Kreis untersucht die Situation von Frauen in der Politik
Bescheidenheit als Bremse
25.01.2002
Darmstadt-Dieburg - Seit der Gründung des Landkreises vor 25 Jahren haben Frauen in der Politik kräftig aufgeholt, sind aber im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung in den kommunalen Parlamenten weiterhin deutlich unterrepräsentiert. In Kommissionen und Ausschüssen spiegeln sich immer noch typische Rollenklischees wider: Weibliche Abgeordnete kümmern sich hauptsächlich um Kunst, Jugend und Soziales, "harte" Themen wie Finanzen, Bauen und Verkehr hingegen sind fest in Männerhand. Das geht aus einer Ausarbeitung des Kreisfrauenbüros hervor, das nach der jüngsten Kommunalwahl den Frauenanteil in den politischen Gremien des Landkreises und seiner 23 Städte und Gemeinden unter sucht hat. Brigitte Hartwig, stellvertretende Leiterin des Frauenbüros und Autorin der Studie, kommt aufgrund der Zahlen zu dem Schluss: "Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein und weniger Bescheidenheit".
Spitzenpositionen in der professionellen Politik auf kommunaler Ebene nehmen im Landkreis Darmstadt-Dieburg (je nach Blickwinkel nur oder immerhin) drei Frauen ein - gegenüber 23 Männern: Celine Fries als Vize-Landrätin, Brigitte Kruza als Bürgermeisterin in Seeheim-Jugenheim und Barbara Holder als (haupt amtliche) Erste Stadträtin in Pfungstadt. Fries war 1997 sogar landesweit die Erste, die als weiblicher
Polit-Profi in die vordere Riege aufrücken konnte.
Im Kreistag, wo das Ehrenamt regiert, sind zurzeit von insgesamt 81 Abgeordne ten 29 Frauen. 1977 waren es lediglich sieben. Der Frauenanteil hat sich also seit dem vervierfacht und ist von acht auf knapp 36 Prozent gestiegen. Aber erst, wenn Frauen die Hälfte der Sitze einnähmen, würde sich die gesellschaftliche Realität im Parlament abbilden. In der SPD-Fraktion hat sich die Frauenquote im zurück liegenden Vierteljahrhundert von rund acht auf 39 Prozent erhöht, bei der CDU von zehn auf 31. Umgekehrt das Verhältnis bei den Grünen, die erst 1985 in den Kreistag einzogen: Mit drei zu sechs befinden sich hier die Männer in der Minderheit. In den Gremien der Städte und Gemeinden ist das vermeintlich schwache Geschlecht teilweise ausgesprochen schwach vertreten. In den 23 Parlamenten besetzen Frauen nur jeden vierten Platz (187 von insgesamt 735 Sitzen). Mit einem Anteil von 35 Prozent nimmt Griesheim schon eine Ausnahmestellung ein. Amunteren Ende der Skala rangiert Fischbachtal mit einem Frauenanteil von 13 Prozent. Noch schlechter als in den Stadtverordnetenversammlungen und Gemeinde vertretungen sieht es aus feministischer Sicht in den Magistraten und Gemeinde vorständen aus. Rechnerisch liegt der Frauenanteil dort kreisweit bei 15 Prozent (29 von 192), allerdings bleiben Frauen in sieben Kommunen völlig außen vor (Babenhausen, Bickenbach, Dieburg, Fischbachtal, Münster, Otzberg und Reinheim). Im Vergleich dazu muten der Gemeindevorstand von Eppertshausen mit 37,5Prozent und der Kreisausschuss mit 40 Prozent weiblicher Besetzung gerade zu als Hort der Emanzipation an.
In ihrer Analyse hat Hartwig auch die Folgen der bei der Kommunalwahl 2001 erstmals praktizierte Möglichkeit, einzelnen Kandidaten mehrere Stimmen zu geben, untersucht. Ernüchtertes Fazit der Frauenbeauftragten: Auf Gemeindeebene sind die Frauen die Verliererinnen. Männer wurden vielfach "hochkumuliert", so dass auf Bewerberinnen 17 Mandate weniger entfielen, als die ursprünglichen Listenplätze hätten erwarten lassen. Da einige Parteien prominente Zugpferde wie Bürgermeister, Landtags- und Bundestagsabgeordnete zum Stimmenfang ins Rennen geschickt hatten, die dann ihr Mandat nicht annahmen, rückten am Ende 16 Frauen nach. Damit sind die "Abrutscher" inzwischen weitgehend behoben. Beim Persönlichkeitswahlrecht spiele der Bekanntheitsgrad eine wesentliche Rolle, als Selbstdarsteller seien Männer aber geübter und in gewisser Weise hemmungsloser als ihre Konkurrentinnen, findet Hartwig. Vielfach hinderten vor allem familiäre Gründe Frauen daran, bei allen möglichen Anlässen "Präsenz zu zeigen" und etlichen gehe es - trotz hoher Fachkompetenz - ab, sich in den Vordergrund zu stellen. "Auf politischem Feld ist mit Zurückhaltung kein Blumentopf zu gewinnen und Bescheidenheit keine Zier, sondern eine Bremse", sagt die Frauenbeauftragte. Mehr Resolutheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten würde Frauen gut anstehen. Gefragt seien erfahrene Mentorinnen als "Ziehmütter", die Nachwuchskräfte für Kandidatur und Amt aufbauen. Ortsübergreifend müssten Netzwerke gebildet werden. Das Kreisfrauenbüro trägt seinen Teil dazu bei, Frauen in kommunalpolitischem Engagement zu ermutigen, indem es zusammen mit den Kolleginnen in der Stadt Darmstadt und dem Büro für Staatsbürgerliche Frauen arbeit (Wiesbaden) bereits seit zwei Jahren regelmäßig Informations- und Kontaktforen anbietet.
Der Bericht "Frauenanteil in politischen Gremien" (26 Seiten) ist kostenfreierhältlich bei der Servicestelle im Landratsamt Darmstadt (Tel. 06151/8811013)und beim Kreisfrauenbüro (8811042).
db