Presse-Archiv 2003
Enormer Zulauf bei Erziehungsberatung - Erster Schritt ist Mamas Sache
"Perfekte Eltern gibt es nicht"
07.05.2003
Darmstadt-Dieburg - Eltern wollte man ermuntern, sich bei Schwierigkeiten Hilfe zu holen - mit einem, wie es im Fachjargon heißt, niedrig schwelligen, ortsnahen Angebot. Deshalb hat sich der Landkreis aus einem Zweckverband mit der Stadt Darmstadt verabschiedet und vor drei Jahren in Pfungstadt und Groß-Umstadt eigene dezentrale Erziehungs beratungsstellen eingerichtet. Beide Häuser verzeichnen einen Zulauf, der die Erwartungen bei weitem übersteigt. "Die Resonanz gibt uns recht, das Konzept geht auf", sagt Erste Kreisbeigeordnete Celine Fries mit Blick auf die Zahlen für 2002. Mehr als verdoppelt hat sich die Zahl der Fälle in den zurückliegenden fünf Jahren: 1998 wurden von der damals noch zentralen Beratungsstelle in Darmstadt 424 Familien aus dem Landkreis betreut, 1005 wandten sich im vorigen Jahr an die neuen Niederlassungen in Pfungstadt und Groß-Umstadt. Mit einem breiten Leistungsspektrum auf den Feldern Prävention, Beratung, Diagnostik, Psychotherapie und Motopädie (Be wegungstherapie) erreichten die dort tätigen Fachkräfte mehr als 2500 Personen im unmittelbaren Kontakt. Darüber hinaus erweist sich die Reihe "Forum Erziehungsberatung" mit Informationsvorträgen zu häufig auftretenden Fragen als wahrer Publikumsmagnet. Die Veranstaltungen sind stets gut besucht, bis zu 800 Besucher wurden schon gezählt.
Für die wachsende Nachfrage gibt es nach Ansicht von Albert Fink, Leiter der Anlaufstelle in Groß-Umstadt, und den Chefs in Pfungstadt, Kordula Gruhn und Klaus Kapitza, mehrere Gründe. Immer mehr Eltern kommen mit ihrem Nachwuchs nicht zurecht und fühlen sich überfordert. Immer mehr Eltern sind aber auch bereit, sich das selbst einzugestehen und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Und die beiden vom Landkreis angebotenen Adressen hätten offenbar innerhalb kurzer Zeit den Ruf aufgebaut, dass man sich dort Profis ohne Scham anvertrauen, sich auf Diskretion, Einfühlungsvermögen und kompetente Hilfe verlassen kann. Fink findet es völlig normal, wenn Mütter und Väter gelegentlich straucheln: "Eltern können gar nicht allwissend und immer perfekt sein". Weil sich viele als Versager oder "schuldig" fühlen, wirke allein diese Botschaft oft schon entkrampfend auf die ganze Situation. Etwa die Hälfte der Klienten kommt aus eigenem Antrieb, andere auf Empfehlung unter anderem von Schule, Kindergarten, Arzt oder Bekannten. In 84 Prozent der Fälle sind es die Mütter, die den ersten Schritt wagen. Zu weiteren Gesprächsterminen kommen dann vermehrt auch Väter und Kinder mit. Am meisten Sorgen bereiten - laut Statistik - die Jungs (66 Prozent), vor allem im Alter zwischen sechs und 15 Jahren (43 Prozent).
43 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen müssen eine Trennung oder Scheidung ihrer Eltern verdauen. In der Beratung geht es an erster Stelle um Erziehungsfragen wie Freiheit und Kontrolle, Grenzen ziehen und wirksame Konsequenzen, wenn Regeln nicht eingehalten werden. Das zweithäufigste Thema sind Folgen von Trennung und Scheidung, wobei manche Eltern frühzeitig kommen, um ihr Kind möglichst schonend auf Veränderungen vorzubereiten, andere erst, wenn sich bereits Symptome zeigen wie Bettnässen, Schulversagen, übermäßige Anhänglichkeit oder Aggressivität. Auch bei Streit um das Umgangsrecht werden die neutralen Vermittler oft eingeschaltet. Für akute Notfälle bieten beide Beratungsstellen Telefonsprechstunden an, außerdem jeweils einmal in der Woche offene Sprechstunden. Zudem gibt es zu festen Terminen jeweils einmal im Monat den so genannten Jour fixe - zwei Gesprächskreise, in denen Eltern beziehungsweise Lehr- und Betreuungskräfte ihren Erziehungsalltag mit Fachkräften erörtern können. Für die individuelle Beratung, die problemabhängig nur eine Sitzung, mitunter aber auch zehn und mehr Treffen umfassen kann, wer den Einzeltermine vereinbart. Die hohe Nachfrage führt inzwischen zu Wartezeiten von mehreren Wochen. Deshalb würden Landrat Alfred Jakoubek und Jugenddezernentin Celine Fries die Beratungsstellen gern personell verstärken. "In Anbetracht der Finanzlage sind Wollen und Können allerdings zweierlei", so Fries. Es müsse zunächst abgewartet werden, welche Auflagen der Regierungspräsident mit der Genehmigung des aktuellen Wirtschaftsplans verbindet.
Kontakt: Erziehungsberatung Groß-Umstadt, Marie-Curie-Straße 6,
Telefon 06078/ 931328; Erziehungsberatung Pfungstadt, Fabrikstraße 9, Telefon 06157/931328.
db