Presse-Archiv 2001

Vier Streetworker angeln nach abgetauchten Jugendlichen

Cooler Auftritt tarnt oft Versagensangst

28.03.2001

Darmstadt-Dieburg - Mit doppeltem Einsatz versucht der Landkreis, abgetauchte Jugendliche an Land zu ziehen. Zwei Frauen verstärken seit kurzem das bisher zwei Mann starke Streetworkerteam der so genannten Fachstelle Jugendberufshilfe, die vor anderthalb Jahren die Arbeit aufgenommen und seitdem rund 120 jungen Frauen und Männern geholfen hat, neue Perspektiven zu finden.
Die Klientel der Jugendberufshilfe sind junge Leute etwa zwischen 15 und 25 Jahren, die auf herkömmlichem Weg kaum erreichbar sind, die die Schule schwänzen, die Lehre geschmissen haben, mehr oder weniger in den Tag hinein leben und kaum von sich aus den Fuß über die Schwelle einer Behörde oder Beratungsstelle setzen würden. Oft ist die Verweigerungshaltung gegenüber Institutionen ein Schutz vor weiteren Misserfolgen und Enttäuschungen. Man vermeidet Situationen, aus denen man wahrscheinlich als Verlierer herausgehen würde, empfindet allein die Aufforderung, sich beim Arbeitsamt oder in der Schule zu melden, als lästig. Coole Fassade und dicke Lippe kaschieren Schwächen und Minderwertigkeitskomplexe. Diese Unnahbarkeit zu durchbrechen, sehen die Sozialarbeiter als wichtigsten Ansatzpunkt. Zu ihrer Strategie gehört, sich dort blicken zu lassen, wo die Kundschaft gerne "abhängt" und sich, zum Beispiel mit Kleidung, Sprache und Einsatzzeiten, auf deren Wellenlänge einzustellen. Hinweise auf "Abgetauchte" erhalten sie auch von Einrichtungen wie Arbeitsamt, Schulen, Handwerkskammer, Jugend- oder Sozialamt. Dass die Betreuer Yücel Akdeniz, Luigi Beltempo, Alexandra Besserer und Andrea Hirt "ganz in Ordnung" sind, spricht sich in einschlägigen Kreisen offenbar allmählich herum: Immer öfter wählen Jugendliche auf Empfehlung von Kumpeln oder Freundinnen die Handy-Nummer der Streetworker. Mit ihrer Arbeitsweise bringt die Jugendberufshilfe so manches Vorurteil ins Wanken. Die Jugendlichen merken schnell, dass sie persönlich wichtig genommen werden, dass Hilfsangebote ernst gemeint sind. Hier werden sie nicht in Schubladen gesteckt und mit Standardprogrammen abgespeist. Statt im Büro trifft man sich an einem neutralen Ort, in Café, Eisdiele oder zu Hause. Es gibt keine festen Geschäftszeiten, sondern auch Gespräche am Abend, die mitunter über zwei, drei Stunden gehen. Man bespricht, wo die Defizite liegen und entwickelt gemeinsam ein erfolgversprechende Strategie. Dabei werden beide Seiten in die Pflicht genommen: Der Betreuer bemüht sich zum Beispiel um einen passenden Kurs oder eine Praktikumsstelle, der Jugendliche bringt einen festen Rhythmus in seinen Tagesablauf und trainiert sein Durchhaltevermögen. Für jeden Einzelfall kann aus Dutzenden von Bausteinen ein geeignetes Paket zusammengestellt werden. Die Palette der Hilfen zur schulischen, beruflichen und persönlichen Stabilisierung reicht vom einwöchigen EDV-Kompaktkurs über einjährige Lehrgänge zur beruflichen Orientierung mit nachträglichem Schulabschluss und Praxisteilen in verschiedenen Sparten bis zur dreijährigen Ausbildung. Parallel dazu steht den jungen Frauen und Männern ständig ein Partner zur Seite, der hilft, Selbstvertrauen und Standfestigkeit aufzubauen, Probleme zu bewältigen und über eventuelle Krisen hinwegzukommen.
Die Jugendberufshilfe arbeitet mit mehreren Stellen, vor allem dem Arbeitsamt und den Schulen, eng zusammen, wird koordiniert von der Jugendförderung des Landkreises und mit insgesamt 200.000 Mark im Jahr zu gleichen Teilen finanziert vom Hessischen Sozialministerium und aus dem Sofortprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Neben den vier Streetworkern ist seit kurzem die Soziologin Ingrid Mager in der Fachstelle beschäftigt. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, die verschiedenen Unterstützungssysteme zu vernetzen, die schätzungsweise über 100 Qualifizierungsangebote diverser Träger in einem Katalog zusammenzufassen und neue Projekte zu konzipieren. "Eine schwierige Phase darf nicht im lebenslangen gesellschaftlichen Abseits enden. Deshalb soll jede(r) die Chance erhalten, aus einem Tief herauszukommen", begründen Landrat Alfred Jakoubek und Erste Kreisbeigeordnete Celine Fries das verstärkte Engagement des Kreises für scheinbar hoffnungslose Fälle.

Interessierte erreichen die Mitarbeiter der Fachstelle Jugendberufshilfe auf folgenden Wegen:
Für den Westteil des Kreises sind zuständig Yücel Akdeniz (0170/9206841) und Luigi Beltempo (0170/9206842) beim Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft in Darmstadt, Elisabethenstraße 55 (Tel. 06151/271036 oder -7),
im Ostteil des Kreises arbeiten Alexandra Besserer (0171/9588215) und Andrea Hirth (0171/9588271) vom Verein für Jugend- und Erwachsenenhilfe in Dieburg, Darmstädter Straße 20 (06071/25061).

dp

zurück...