Presse-Archiv 2002

Drei Zeitzeugen äußern sich zur Entwicklung des Kreises

25 Jahre Landkreis Darmstadt-Dieburg

08.01.2002

Darmstadt-Dieburg - Der Landkreis Darmstadt-Dieburg feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen. Heftige Diskussionen, Polemik, Diplomatie, Taktieren und Überredungskunst bestimmten 1977 und die Zeit davor die schwierige Gründung der neuen Verwaltungseinheit.

Doch aus dem ehemaligen Zankapfel wurde ein moderner Dienstleistungskonzern. Dr. Ralf-Rainer Lavies (SPD, Seeheim- Jugenheim), Klaus-Jürgen Hoffie (FDP, Bickenbach) und Helmut Enders (CDU, Dieburg) sind Zeitzeugen, sie haben an der Gründung des Landkreises mitgewirkt und die Entwicklung bis zum Jubiläumsjahr beobachtet. Alle drei sind heute noch aktiv mit der Kreispolitik befasst. Dr. Ralf-Rainer Lavies als Vorsitzender des Kreistags, Klaus-Jürgen Hoffie als Fraktionsvorsitzender der FDP und Helmut Enders als Mitglied des Kreisausschusses. Mit ihren Antworten auf vier Fragen halten sie Rückblick, nehmen aber auch Stellung über die Zukunft des Landkreises.

Mit welchen Gefühlen haben Sie 1977 die Zusammenlegung der Kreise Darmstadt und Dieburg gesehen?

Dr. Ralf-Rainer Lavies:
Ich war damals junger Kreistagsabgeordneter und Vorsitzender der Mehrheitsfraktion (SPD) im Kreistag Darmstadt. Ich erlebte das besonders auch bei etlichen Kommunalpolitikern ausgeprägte "Ost- West-Denken". Ich sehe noch die Auto-Aufkleber "Hände weg vom Landkreis Dieburg" vor mir. Ich spürte die intensiven Ängste vieler, die nicht Verlierer sein wollten. Für mich sollte der neue Kreis nicht bisherige "Heimat" zerstören. Das neue gemeinsame Wappen sollte nicht die Verbundenheit mit der bisherigen Lebensumgebung löschen. Noch heute tun wir uns ja mit der "Kreis-Identität" schwer. Für mich war damals wichtig, ob das Ergebnis eine leistungsstarke Kreisverwaltung sein würde.

Klaus-Jürgen Hoffie:
Mit sehr gemischten Gefühlen! Ich hatte auf zwei Schultern zu tragen, denn ich war Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Darmstadt Stadt und Land. Stadt und Kreis hatten aber konkurrierende Interessen, und die Diskussion war stark geprägt von auch sehr persönlichen und unterschiedlichen Ambitionen und Präferenzen der amtierenden und designierten Verwaltungschefs von Kreisen, Städten und Gemeinden. Meine Vorstellung von einem Stadtkreis aus Darmstadt und dem gesamten Altkreis Darmstadt-Land erwies sich als nicht durchsetzbar. Schon deshalb, weil die Landkreis-SPD mit ihren Genossen mit der Stadt auf Kriegsfuß stand. Der damalige Oberbürgermeister Sabais wollte einen um die nur wirtschaftsstärksten Gemeinden im Nordwesten vergrößerten Stadtkreis, was auch die Darmstädter FDP für diskutabel hielt. Der in Wiesbaden einflussreiche Landrat Baumann strebte aber die Position des Großkreis-Landrats aus dem Zusammenschluss der Altkreise Darmstadt-Land und Dieburg an. Mir ist dabei auch noch gut die Rolle und das Wendemanöver der Landkreis-CDU in Erinnerung, die bis zur entscheidenden Kreistagsitzung für das Großkreis-Modell eintrat, es dann aber aus parteitaktischen Gründen fallen ließ. Ich stimmte zu, nicht weil ich von der SPD dazu "gebracht" wurde, sondern weil es mir um die Einheit des Landkreises ging - wenn schon nicht mit Darmstadt, dann doch im größeren Verbund.

Helmut Enders:
Die CDU - Partei und Fraktion - im früheren Kreis Dieburg hat ihren Wahlprospekt für die Kommunalwahl vom 22. Oktober 1972 überschrieben mit "Kreis erhalten und neu gestalten" und erklärt, sie wende sich mit aller Entschiedenheit gegen den Beschluss der Hessischen Landesregierung, den Kreis Dieburg aufzulösen - einen Kreis, der nach seiner Einwohnerzahl und seiner Wirtschaftsstruktur einer der stärksten im Land Hessen sei. Ich habe damals überzeugt und engagiert diese Haltung vertreten. Ich erinnere mich an eine Rede, die ich in einer Dieburger Schulhalle vor mehreren hundert Zuhörern für die CDU-Fraktion gehalten habe und in der ich mich emphatisch für den Kreis Dieburg und gegen den bei der Veranstaltung anwesenden Innenminister Bielefeld als "Volkesstimme" artikuliert hatte.

War die Zusammenlegung aus heutiger Sicht ein richtiger oder falscher Schritt?

Dr. Ralf-Rainer Lavies:
Die "Bürgernähe" einer leistungsstarken Verwaltung wird nicht zuerst in Kilometer-Entfernung gemessen. Zudem sind mehr und mehr durch Telefon, Fax, E-mail und andere Medien die Kilometer nicht die zentrale Frage der Erreichbarkeit der Verwaltung. Wichtig ist allerdings ein differenziertes Leistungsangebot durch spezialisierte und hoch qualifizierte Mitarbeiter. Das geht nur mit einer optimalen Betriebsgröße, also nicht mit einer Minimal-Ausstattung. So gesehen war die mit der Gebietsreform angestrebte Verwaltungsreform, die ja immer noch weiter gehen wird, ein richtiger Schritt.

Klaus-Jürgen Hoffie:
Das bleibt Spekulation. Vergleiche sind ja nicht möglich. Aber der Großkreis hat sich als leistungsstark, vernünftig organisierbar und rationell führbar erwiesen. Die Ziele der heftig umstrittenen Gebietsreform - Vereinfachung und Rationalisierung der Verwaltung - haben sich als erreichbar heraus gestellt, die Ergebnisse können aber noch erheblich verbessert werden. Der von mir für die FDP schon vor 25 Jahren geforderte zentrale Sitz in Kranichstein wird jetzt ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer moderneren, rationelleren und servicefreundlicheren Verwaltung. Die Umstellung von der kameralistischen auf die kaufmännische Buchführung wird den Erfolg von Verwaltungshandeln künftig auch international vergleichbar machen. Der Großkreis hat sich etabliert, aber ein "Ost-West-Denken" ist geblieben. Es gibt keine aus vollem Herzen gelebte Identität der Bürger zu "ihrem" Großkreis. Er wird - wenn überhaupt - als Verwaltungseinheit wahrgenommen und begriffen.

Helmut Enders:
Der Kreis Dieburg war in seiner Bevölkerungsstruktur nicht homogen, jedoch in der Verschiedenheit geprägt von atmosphärischer Verbundenheit. Diese und die räumliche Überschaubarkeit, auch im politischen Handeln der Verwaltungs- und Parlamentsgremien, ist verloren gegangen. Allerdings haben sich zwischenzeitlich die vorgenannten Verbundenheiten auch im früheren Kreis Dieburg erheblich verändert, sprich: vielfach gelöst. Größe und Wirtschaftskraft des neuen Großkreises sind positive Ergebnisse, von denen die Bürger und ihre Gemeinden insbesondere infrastrukturellen Nutzen ziehen können. Daher besteht aus heutiger Sicht kein Anlass für eine Restauration.

Verändert sich im Zeitalter von Regionalisierung und Globalisierung die Rolle der Landkreise und wird es Ihrer Ansicht nach Darmstadt-Dieburg in 25 Jahren noch geben?

Ralf-Rainer Lavies:
Sicher wird es qualitative und quantitative Veränderungen der Aufgaben des Kreises geben. Neue Tätigkeitsfelder werden dazu kommen, andere werden abgegeben. Verschiebungen zwischen den Kommunen, dem Land Hessen und dem Kreis - mehr und mehr sogar über Kreis- und Ländergrenzen hinweg - werden selbstverständlich und natürlich sinnvoll sein. Ich bin ziemlich sicher, dass es unseren Kreis auch noch in 25 Jahren geben wird.

Klaus-Jürgen Hoffie:
Die Bedeutung unserer Region Starkenburg, aber auch ihrer Städte und Gemeinden als Lebens- und Wirtschaftsraum in der Mitte von und in der Verbindung mit den Ballungsräumen Rhein-Main und Rhein- Neckar wird erheblich zunehmen, die der Landkreise eher abnehmen. Die Aufgabenstellung der Landkreise wird sich ändern, die Dikussion um die Neuordnung und die Notwendigkeit der heutigen Verwaltungsebenen wird uns erhalten bleiben. Der Landkreis Darmstadt-Dieburg zumindest für die nächsten 25 Jahre wohl auch.

Helmut Enders:
Ich vermute, dass der Landkreis Darmstadt-Dieburg in 25 Jahren noch bestehen wird. Allerdings scheint mir völlig offen, mit welchen Funktionen, Aufgaben und politischen Einflussmöglichkeiten. Neben den um Frankfurt am Main bestehenden oder entstehenden, ihre - aufwändigen - Regierungsgebilde wesensgemäß stets rechtfertigenden und ausbauenden (Planungs-) Verbänden wird von Bedeutung sein, was die wachstumsausgerichte "Starkenburg Regionale" an sich ziehen wird. Das Fortbestehen oder der Wegfall des Regierungspräsidiums Darmstadt wird für die aufgeworfene Frage auch relevant sein.

Fühlen Sie sich als Darmstadt-Dieburger?

Dr. Ralf-Rainer Lavies:
Man hätte mich auch fragen können: Ist Darmstadt-Dieburg für Sie Heimat? Ich fühle mich als Deutscher und zugleich als Europäer. Ich fühle mich Tag für Tag in Südhessen und im Urlaub ganz woanders auf unserer Welt sehr wohl.

Klaus-Jürgen Hoffie:
Politisch gesehen ja. Das ergibt sich schon aus der Verantwortung des Mandats. Aber im übrigen fühle ich mich unabhängig von jeglichen Kreisgrenzen als deutscher Europäer. Ich frage mich allerdings oft, wie es denen geht, die - noch nicht älter als 25 Jahre - im Großkreis aufgewachsen sind.

Helmut Enders:
Nein.

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