Presse-Archiv 2003
Dei Jahre Jugendberufshilfe im Landkreis - Nachfrage wächst
"Da kriegst du geholfen"
21.10.2003
Darmstadt-Dieburg - Damit vermeintlich hoffnungslose Fälle doch noch an der Sozialhilfe vorbei die Kurve Richtung Arbeitsmarkt kriegen, hat der Landkreis vor drei Jahren die "Fachstelle Jugendberufshilfe" als weiteren Knotenpunkt im Netzwerk der regionalen Beschäftigungspolitik eingerichtet. Die Bilanz für 2002 belegt eindrucksvoll Notwendigkeit und Effektivität des Präventionsangebots: Von 283 Klienten fanden 71 Prozent dank der Unterstützung eine Lehrstelle, einen festen Job, einen Platz in einer Qualifizierungsmaßnahme oder eine schulische Perspektive, 16 Prozent werden noch betreut, acht Prozent gingen beispielsweise wegen Umzugs, Schwangerschaft, Wehr- oder Zivildienst anderer Wege und lediglich knapp fünf Prozent brachen den Kontakt zur Fachstelle ohne Angabe von Gründen ab.
Zum Team der Jugendberufshilfe gehören eine Koordinatorin mit Sitz beim Jugendamt und vier Außendienstler - zwei Männer und zwei Frauen, alle studierte Sozialpädagogen. Sie gehen in Schulklassen, Lehrerkonferenzen und Elternbeiratssitzungen, zu Jugendzentren und Vereinen, pflegen Kontakte zu Gemeindeverwaltungen, Bildungsträgern, IHK und Handwerkskammer, Ausländerbeiräten, Frauenbeauftragten sowie zahlreichen anderen Stellen und arbeiten vor allem mit der Berufsberatung des Arbeitsamtes eng zusammen. Dass die Sozialarbeiter so gar nicht ins Klischee "typisch Behörde" passen, kommt bei der Zielgruppe offenbar gut an. Man muss nicht in ein Amt gehen, eine Nummer ziehen und warten bis man aufgerufen wird. Vielmehr trifft man den "persönlichen Coach" auf Wunsch zu Hause, in der Schule oder an einem neutralen Ort. Er beziehungsweise sie geht auf die individuellen Bedürfnisse ein, ist bei plötzlich auftretenden Krisen jederzeit telefonisch erreichbar, motiviert, baut auf, ermahnt auch und hilft bisweilen mit einem kräftigen Schubs über Durchhänger hinweg. Erste Kreisbeigeordnete Celine Fries sieht die Strategie darin bestätigt, dass immer mehr Jugendliche aufgrund von
Mund-zu-Mund-Propa ganda zur Jugendberufshilfe finden. Allzu locker-lässig geht es dabei jedoch nicht zu: Ein jeweils auf die spezifischen Gegebenheiten des Einzelfalls abgestimmter Förderplan verpflichtet beide Seiten, bestimmte Leistungen in einem gewissen Zeitraum zu erbringen, und es wird regelmäßig überprüft, ob die Zielvereinbarung auch eingehalten wird. Zu insgesamt rund 700 Jugendlichen hatte die Jugendberufshilfe im vorigen Jahr unmittelbaren Kontakt. Etwa 400 holten sich im persönlichen Gespräch Tipps, wie sie weiter vorgehen sollten. Weitere 283, knapp die Hälfte davon Mädchen, nahmen die professionelle Betreuung längerfristig über mehrere Monate in Anspruch. Annähernd ein Drittel der Ratsuchenden stammt aus ausländischen Familien. Mehr als die Hälfte davon ist türkischen und italienischen Ursprungs, deshalb ist es vorteilhaft, dass zwei der Sozialarbeiter "von Haus aus" diese Sprachen beherrschen und die Mentalitäten kennen. Fast die Hälfte der "Intensivfälle" besuchte die Hauptschule, die meisten davon ohne Abschluss. Zunehmend melden sich aber auch Realschüler bei der Jugendberufshilfe. Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und der Ausbildungsmisere hängen immer mehr Schüler der Abgangsklassen buchstäblich in der Luft, und viele von ihnen benötigen mehr Unterstützung, als ihnen beispielsweise Lehrkräfte oder Berufsberater geben können. "Die Jugendberufshilfe kann resignie renden jungen Menschen eine Zukunftsperspektive eröffnen", ist Vize-Landrätin Fries überzeugt und deshalb ungehalten darüber, dass die Landesregierung ausgerechnet an dieser Stelle Zuschüsse komplett streichen will. Bisher
finanzieren die Arbeitsverwaltung und das Land die Fachstelle mit jeweils rund 51.000 Euro im Jahr, der Landkreis steuert rund 64.000 Euro bei. Fallen die Landesmittel weg, müssten zwei Sozialarbeiter gehen. Der Kreis kann zwar nicht in die Bresche springen, Fries setzt aber alles daran, das Betreuerteam zu erhalten. Ein Beispiel aus der Praxis Aldo P. (18) hatte mit Lernen wenig im Sinn. Er verließ die Schule mit einem miesen Zeugnis, schaffte später in einem Berufsvorbereitungslehrgang mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss, verschickte ein paar halbherzige Bewerbungen - erfolglos. Einen dreimonatigen Kurs des Arbeitsamts brach er ab, weil ihm die Spielregeln nicht passten.
Er wollte lieber ausschlafen und mit Kumpels abhängen. Von Stütze ließ es sich einiger maßen gut leben. Als das Sozialamt mit Kürzungen droht, meldet er sich bei Luigi Beltempo von der Jugendberufshilfe des Kreises beim Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft. Eigentlich wider Erwarten kommt Aldo mit dem Sozialarbeiter gut klar. Der spricht - im Wortsinn - seine Sprache, diskutiert auch mit der Familie verschiedene Möglichkeiten, setzt sich mit der Berufsberatung des Arbeitsamts in Verbindung, hilft beim Bewerbungen schreiben. Der junge Mann ist verwundert, dass sich einer um ihn bemüht und fühlt sich dadurch angespornt, reagiert aber erstmal entrüstet, als Beltempo ein Praktikum bei einer Gebäudereinigungsfirma vorschlägt: "Soll ich jetzt Putzfrau spielen oder was?". Trotzdem geht er mit in den Betrieb und findet die Idee nach einem Gespräch mit dem Chef gar nicht mehr so abwegig. Das vierwöchige Praktikum zieht er durch - fleißig, zuverlässig, ohne Murren, ohne Aussetzer. Am Ende sind alle Beteiligten zufrieden und Aldo, der "aussichtlose Fall", hat einen Ausbildungsvertrag in der Tasche. Und seine Cousine, die sich bisher auch für unvermittelbar hielt, setzt ihre Hoffnungen jetzt ebenfalls auf die Jugendberufshilfe.
db