Presse-Archiv 2004

Der blinde Behindertenbeuaftragte des Kreises lernt, sich im neuen Landratsamt zurecht zu finden

Orientierung mit Fingerspitzengefühl

06.05.2004

Darmstadt-Dieburg - Frank Schäfer, der Behindertenbeauftragte des Landkreises, ist zurzeit dabei, wie er sagt, "seine Festplatte neu zu installieren". Nicht an seinem Personalcomputer im neuen Landratsamt in Kranichstein, sondern in seinem Kopf. Mit dem Umzug der Kreisverwaltung hat sich für den blinden Schäfer eine knifflige Situation ergeben, da er seine ihm unbekannte Umgebung regelrecht auswendig lernen muss.

Auf seinem Schreibtisch liegt jetzt ein ungewöhnlicher Grundriss seines Arbeitsdomizils in Kranichstein. Aufkleber aus Sandpapier bedeuten Grünfläche, glatte Pappe steht für Gebäude, geriffelte Abschnitte signalisieren Überdachungen, gewelltes Papier weist auf Parkplätze hin, ein kleiner Plastikknubbel symbolisiert das Kunstobjekt auf dem Platz zwischen Pforte und Haupteingang. Immer wieder streicht er gefühlvoll über das ungewöhnliche Modell. "Ich muss das Areal in den Fingerspitzen haben", beschreibt Frank Schäfer seine manuelle Erkundungstour. Wenn er sich dann künftig auf dem Gelände oder in den Gebäuden bewegt, richtet er sich nach Orientierungspunkten. Die sind gerade in unbekannter Umgebung notwendig, denn sein Blindenstock erlaubt einen  Bewegungsradius von einem Meter, alles andere ist für ihn - zunächst - fremdes Terrain.

Unterstützung erhält der Behindertenbeauftragte durch Mobilitätstrainer Michael Damm, der ihm, finanziert vom Landeswohlfahrtverband, für insgesamt 20 Stunden zur Verfügung steht. Die vermeintlich kurze Zeit reicht, um sich mit den fünf Trakten, insgesamt 23 Etagen, 8000 Quadratmetern Bürofläche und dem Gelände vertraut zu machen. Frank Schäfer ist nämlich im Umgang mit dem Blindenstock ein alter Hase, hat seine Beweglichkeit und vor allem sein Gedächtnis in der Vergangenheit intensiv geschult. Damm ist mit seinem Schützling den Gebäudekomplex einmal abgegangen, "immer an der Wand lang", hat Hilfspunkte genannt oder auf Gefahrenstellen hingewiesen wie beispielsweise die Telefonkabine im Foyer, die mit dem Blindenstock nicht zu ertasten ist, weil sie nicht bis auf den Fußboden reicht. Jetzt komplettiert Schäfer seine ersten Erfahrungen, geht immer wieder die Flure ab, öffnet Türen, trichtert sich Flurkreuzungen, Treppen oder eventuelle Hindernisse ein. Im Augenblick ist für ihn das Maß aller Dinge links rum, geradeaus oder rechts rum, nach und nach verbessern akustische Merkmale zusätzlich die Orientierung. So hat das hohe Foyer eine markante Geräuschentwicklung, eine Rolle spielen außerdem Bodenbeläge oder besondere Wandverkleidungen.

Frank Schäfer verbindet seine Memory-Touren gleich mit seiner Aufgabe als Behindertenbeauftragter. Eine behindertengerechte Ausstattung der Aufzüge, Orientierungshilfen auf den Fluren und in Treppenhäusern, ein barrierefreier Weg von der Straßenbahnhaltestelle zum Landratsamt oder rollstuhlgerechte Toiletten liegen ihm dabei besonders am Herzen. Dies ist auch ganz im Sinn von Landrat Alfred Jakoubek, der erklärtermaßen Wert auf ein behindertenfreundliches Kreishaus legt.

Ein paar Tage wird es noch dauern, bis Schäfer seinen Lernprozess abgeschlossen und seine Festplatte im Kopf programmiert hat. Dann wird er wohl der Kollege sein, der sich am besten im Landratsamt in Kranichstein auskennt - ohne die Gebäude jemals gesehen zu haben.

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