Presse-Archiv 2004

Modellprojekt vernetzt Sandstandorte mit Altneckarschlingen

Auf Wanderschaft für den Naturschutz

30.06.2004

Darmstadt-Dieburg - Wenn sich der Landkreis künftig der von Fachleuten so bezeichneten "geborgten Beweglichkeit" von Tieren bedient, hat das nichts mit der finanziellen Situation zu tun, viel mehr mit einem bundesweit einmaligen Modell. Weidetiere auf Wanderschaft sollen feuchtes Grünland in den alten Neckarschlingen im Ried mit den wertvollen, europaweit bedeutenden Sandrasenflächen im Westkreis vernetzen. Ziel ist es nach Aussage der Ersten Kreisbeigeordneten Celine Fries, den Inselcharakter der Sandflächen aufzuheben und die pflanzliche Vielfalt in den beiden Biotopen zu sichern beziehungsweise zu erweitern. "Wir wollen Naturschutz und  Landbewirtschaftung kombinieren", sagt Celine Fries. Der so genannte doppelte Biotopverbund soll sich bis im Jahr 2008 auf insgesamt rund 900 Hektar erstrecken. Unterstützt wird das Projekt von den Kommunen Alsbach-Hähnlein, Bickenbach, Griesheim, Pfungstadt, Seeheim-Jugenheim und Weiterstadt sowie durch verschiedene Naturschutzverbände, die alle Flächen bereit stellen. Außerdem ist das Regierungspräsidium eingebunden. Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts hat der Fachbereich Biologie der TU Darmstadt übernommen, gefördert wird das Vorhaben durch das Bundesamt für Naturschutz, das bis zum Jahr 2008 insgesamt rund 1,16 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Fries legt Wert auf die Feststellung, dass bestehendes Ackerland unbehelligt bleibt, eingebunden werden durch Pacht oder gegebenenfalls durch Ankauf nur Flächen, die sich aus Sicht des Naturschutzes für das Projekt eignen - beispielsweise Ackerflächen, die sich aufgrund des steigenden Grundwassers nicht mehr bewirtschaften lassen.

Die neue Form der Landbewirtschaftung geschieht gewissermaßen auf historischem Boden. Mindestens seit dem 15. Jahrhundert bis in das 20. Jahrhundert hinein grasten auf dem Gebiet der Altneckarschlingen und der Sandstandorte Schafe, Rinder und Pferde, teilweise auch Schweine und Gänse, auf weitgehend zusammenhängenden Flächen. Entstanden sind die Sandgebiete im westlichen Kreisgebiet zum Ende der letzten Eiszeit vor mehr als 10 000 Jahren durch Auswehungen aus Schotterflächen des Urrheins. Westwinde transportierten den kalkreichen Sand Richtung Gräfenhausen (Rotböhl), Seeheim-Jugenheim (Seeheimer Düne) und Alsbach (Dulbaum).  Das Konzept greift die historischen Wurzeln auf, verknüpft diese aber mit neuen naturschutzfachlichen auf der einen und agrarwirtschaftlichen Erfordernissen auf der anderen Seite. Denn die einst zusammengehörenden Lebensräume sind zerrissen und haben keinen genetischen Austausch mehr, längerfristig droht das Aussterben von einzigartigen Pflanzen.   

Einhalt bieten sollen da beispielsweise die Schafe des Landschaftspflegehofs Stürz, deren Hauptaufgabe künftig sein wird, von Fläche zu Fläche zu wandern und Samen zu verbreiten - entweder über das Fell oder über Ausscheidungen. Damit soll die Pflanzenvielfalt erhalten respektive entwickelt werden. Und da die Schafherde zusätzlich die Sandflächen durch ihre Tritte offen legt, kann sich die Sandmagerrasen-Gesellschaft besser entwickeln, gefährdete Pflanzen wie Grasnelke, Nadelröschen oder Silberscharte haben größere Überlebenschancen. Wichtige Erkenntnisse für die Tierernährung verspricht die Kombination von nährstoffarmen Sandrasen und fetten. Zumal zusätzlich zwischen den einzelnen Flächen so genannte Trittstein- und Nachtpferchflächen angelegt werden, etwa mit Klee bewachsen, wo die Tiere auf ihrer Wanderschaft eine sättigende Pause einlegen können. Zusätzlich zu den Schafen sind auch Rinder oder Esel denkbar. Gerade die Eigenart der Esel, sich gerne zu suhlen, kommt dem Ziel, offene Stellen und damit mehr Wachstum zu schaffen, entgegen.

Bestätigt sich das Konzept, Naturschutz und Wirtschaftlichkeit miteinander zu verbinden, sieht Erste Kreisbeigeordnete Fries für die Zukunft neben der Verwertbarkeit auf Bundesebene auch eine mögliche andere Fläche in der Region: "Die Hergershäuser Wiesen in der Gersprenzaue bieten ähnliche Voraussetzungen".

 

 

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