Presse-Archiv 2004
Beratungszentrum unterstützt Sorgenkinder, Eltern und Lehrkräfte
Erziehung mit Sonnentagebuch und Roter Karte
11.10.2004
Darmstadt-Dieburg - Bis vor einem halben Jahr war Fritz der Oberrabauke in seiner Klasse - ein Trotzkopf und Störenfried, der im Unterricht schwätze, herumkasperte, aus Arbeitsblättern Flieger baute und streikte, wenn er keine Lust mehr hatte, der Mitschüler ständig ärgerte, manchmal sogar verkloppte und entsprechend gemieden wurde. Heute kann der Achtjährige längere Zeit still sitzen, sich konzentrieren und mit anderen ohne Getöse zusammen arbeiten. Seine Leistungen haben sich deutlich verbessert, und Freunde hat er auch gefunden. Die wundersame Wandlung kommt nicht von ungefähr. Sie ist auf den Einfluss des Zentrums für schulische Erziehungshilfe in Mühltal zurückzuführen.
Vor zwei Jahren hat der Landkreis diese Einrichtung geschaffen, um verhaltensauffällige Kindern zu fördern, damit sie sich in der Gemeinschaft und im Schulalltag zurechtfinden statt immer weiter ins Abseits zu rutschen. Das Präventions- und Beratungszentrum für die 54 Grundschulen im Landkreis mit Sitz in der Pfaffenbergschule folgt einem außergewöhnlichen Modell. Hier arbeiten erstmals Fachkräfte üblicherweise strikt getrennter Behörden interdisziplinär zusammen: vom Staatlichen Schulamt die Sonderschullehrerinnen Ute Oetken und Inge Rick sowie vom Kreisjugendamt die Sozialpädagoginnen Daniela Glenzer und Gabi Jacob-Höflein. Mehr als 200 "Sorgenkinder" hat das Team bisher betreut. Die praktischen Erfahrungen mit der neuen Form der Schulsozialarbeit wurden jetzt erstmals in einem Bericht ausführlich dokumentiert. Danach bereiten mit einem Anteil von 80 Prozent hauptsächlich Buben Kummer. Jungen fielen am häufigsten durch Störungen im Sozialverhalten, beim Unterricht und in der Aufmerksamkeit auf, bei Mädchen wurden vor allem mangelnde häusliche Unterstützung, Leistungsverweigerung und Aufmerksamkeitsdefizite beklagt, wenn ratlose Lehrkräfte oder Eltern um Hilfe baten. Die Mehrzahl der Anfragen betraf Kinder aus den Klassen 1 und 2 - ein Indiz dafür, dass oft schon in jungen Jahren massive Schwierigkeiten auftreten, aber auch dafür, dass die Erwachsenen aufmerksam hinschauen und sich, durchaus im Bewusstsein der eigenen Grenzen, um frühzeitige professionelle Unterstützung bemühen. So unterschiedlich jeder Einzelfall ist, so sehr variiert auch der Beratungsaufwand. Manchmal lässt sich schon mit einem Telefongespräch vieles klären, mitunter sind auch zwanzig und mehr Treffen erforderlich, gegebenenfalls werden auch andere Stellen, beispielsweise Therapeuten oder Kinderärzte, eingeschaltet. Im Fall von Fritz beispielsweise kamen Beraterinnen zu Unterricht und Hausbesuchen, redeten ausgiebig mit der Klassenlehrerin, den Eltern und dem Kind, um die jeweilige Sichtweise, die oft sehr unterschiedlich ist, kennen zu lernen und herauszufinden, welche Faktoren negatives Verhalten auslösen. Gemeinsam wurde ein "Aufgaben- und Erziehungsplan" erstellt, bei dessen Umsetzung sich die Situation schrittweise merklich verbesserte. So schrieb der Junge in einem "Sonnentagebuch" auf, was ihm Freude macht und wann er sich gut fühlt. Positive Anreize und negative Konsequenzen, auch das Wissen um Wechselwirkungen halfen in der Schule und zu Hause, Veränderungen herbeizuführen. Die Lehrerin beherzigte Interaktionsmuster - lobte, wenn angebracht, bestrafte aber auch, um deutlich Schranken aufzuzeigen. Hatte sie früher (erfolglos) versucht, den Drittklässler mit Ignorieren zu beeinflussen, drohte ihm jetzt erst die Gelbe, dann die Rote Karte und der Ausschluss vom heiß geliebten Fußballspiel, wenn er mal wieder ausrastetete. Der Vater lernte unter anderem, die regelmäßige Beschäftigung mit seinem Sohn genauso wichtig zu nehmen wie seine Geschäftstermine, die Mutter, sich durchzusetzen und Schwindeleien zu durchschauen.
"Die enge Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe kommt nicht allein dem betroffene Kind zugute", betonen Erste Kreisbeigeordnete Celine Fries und der Leitende Schulamtsdirektor Jürgen Weßling. Von der neuen Harmonie in der Klasse profitierten jeweils auch die Mitschüler, die Lehrkräfte, oft erschöpft und am Ende ihrer Kräfte, würden entlastet, erhielten neue Impulse und Rückhalt von außen, die Eltern kämen ins Gespräch mit der Schule, gewönnen Erziehungskompetenz und Verständnis für die Probleme ihres Sprösslings. Das Beratungszentrum habe innerhalb kurzer Zeit einen sehr guten Ruf erworben und sich inzwischen als wichtiges Präventionsangebot im Landkreis etabliert. (db)
Kontakt: Zentrum für schulische Erziehungshilfe, Pfaffenbergschule in Mühltal, Am Steinbruch 2, Telefon 06151/5 99 08 56.