Presse-Archiv 2005

Beim Urlaub von der Pflege lernen Angehörige auszuspannen

"Es geht auch mal ohne mich"

27.07.2005

Darmstadt-Dieburg - Dürfen sich pflegende Angehörige ohne schlechtes Gewissen eine Auszeit nehmen? Zu egoistisch? Was denken die Nachbarn? Neunzehn Frauen und ein Mann, die seit Jahren tagein, tagaus rund um die Uhr ihren Partner, die Eltern oder Schwiegereltern zu Hause versorgen, haben es "gewagt", sich teilweise trotz erheblicher Bedenken dazu durchgerungen, einen einwöchigen Urlaub von der Pflege in Bad Wildungen zu verbringen. Und dabei eine wichtige Erkenntnis gewonnen: "Es geht auch mal ohne mich."

Der Landkreis bietet solche Erholungspausen bereits seit 1991 an, betont Landrat Alfred Jakoubek. In diesem Jahr beteiligte sich erstmals die Stadt Darmstadt, so dass insgesamt zwanzig Personen, sieben Personen mehr als bisher, mitreisen konnten. Damit keine finanziellen Hürden im Weg stehen, reduzieren beide Gebietskörperschaften den Teilnahmebeitrag mit einem 200-Euro-Zuschuss auf 290 Euro. Und falls keine private Vertretung gefunden werden kann, helfen das Seniorenbüro im Dieburger Landratsamt sowie das Beratungs- und Servicezentrum in Darmstadt, eine Kurzzeit- oder Tagespflege für die überwiegend wegen Alzheimer, Demenz, Parkinson, Schlaganfall oder nach einem Unfall hilfsbedürftigen Menschen daheim zu finden.

Der Abstand, die Ruhe und die Möglichkeit, offen über die Situation reden zu können, mache den Urlaub von der Pflege so wertvoll, erklärt Dagmar Maas aus Ober-Ramstadt. Sie pflegt seit 17 Jahren ihren Mann, 16 Stunden-Tage sind für sie, wie für viele andere, gang und gäbe. Mehrmals nahm die 46-jährige das Angebot des Kreises wahr, seit drei Jahren fährt sie als ehrenamtliche Begleiterin mit. Außenstehende haben nach ihrem Eindruck kaum eine Vorstellung, wie aufreibend und belastend die Dauerbeanspruchung ist. Darüber zu reden, verbiete sich: "Das Verständnis ist sehr begrenzt." Angesichts der (vermeintlichen?) moralischen und gesellschaftlichen Pflicht könnten sich viele pflegende Angehörige kaum vorstellen, einmal etwas nur für sich zu tun, neigten vielmehr zur Selbstausbeutung und Überforderung. "Dabei ist mit Aufopfern bis zum Umfallen niemandem gedient", so Maas. Bei Gesprächen mit gleichermaßen Betroffenen, die auch psychologisch begleitet werden, lernen die Urlauber, dass es ganz normal ist, auch mal wütend, genervt oder erschöpft zu sein, und nicht herzlos, wenn sie sich einen Konzertbesuch, Einkaufsbummel oder Nachmittag im Schwimmbad gönnen, auf ihr eigenes Wohlbefinden achten. Sie erfahren auch, dass die Pflegekasse für Aushilfen aufkommt und wie sich für ein paar Stunden oder mehrere Tage einen Pflegedienst organisieren lässt - mit ruhigem Gewissen. Oft sind diese Möglichkeiten gar nicht bekannt. Dass die Auftankwoche gewirkt hat, machten die Teilnehmer bei ihrer Rückkehr mit einem Satz deutlich: "Nehmt uns bloß das nächste Mal wieder mit!"

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