Presse-Archiv 2008

Körperschmuck kann süchtig machen - Heute in, morgen prollig?

Für immer gezeichnet

06.06.2008

Darmstadt-Dieburg - Die sommerknappe Kleidung bringt sie wieder vermehrt zum Vorschein: Tattoos und Piercings. Hier ein Schmetterling im Ausschnitt, dort eine Blume auf der Schulter, Ornamente am Knöchel und Hirschgeweih überm Steiß. An Nabel und Nase, Ohr und Oberarm klimpern und blinken Ringe, Kugeln und Steine. Ob schick oder schäbig, daran scheiden sich die Geister. Doch mit Geschmacksfragen hält sich Ilka Weiß vom Gesundheitsamt nicht lang auf, ihr geht es um Sicherheit.

“Die Verschönerung mit der schnellen Nadel gleicht einem chirurgischen Eingriff mit ebensolchen Risiken und Nebenwirkungen.” Entsprechend gründlich sollte man sich vorher informieren und dreimal überlegen, bevor man sich in die Hände eines Körperkünstlers begibt. Als Gesundheitsaufseherin mit Schwerpunkt Infektionsschutz will Weiß weder werben noch schockieren, sondern unabhängig vom ästhetischen Empfinden durch Aufklärung vor möglicherweise folgenschweren Abenteuern schützen. Sie beantwortet Fragen vor allem von Eltern und unzufriedenen Kunden, hält Vorträge in Schulen und überwacht und berät die Branche. 15 gewerblich gemeldete Studios in Darmstadt und im Landkreis Darmstadt-Dieburg sucht sie regelmäßig auf, vor allem um die Einhaltung der strengen Hygienevorschriften zu kontrollieren. “Penible Sauberkeit ist oberstes Gebot, da gibt es keine Toleranz”, so Weiß. Ein Laden musste kürzlich vorübergehend schließen, nachdem sich ein Ohrenpiercing bei einem Teenager entzündet hatte. Obendrauf kommt eine Ordnungswidrigkeitsanzeige mit einem Bußgeld von bis zu 3000 Euro. Bei entsprechenden Hinweisen inspiziert das Gesundheitsamt auch Hinterhofklitschen und reisende “Künstler”, die auf Messen ihre Dienste anbieten. Hier sollte man unbedingt ganz genau hinsehen; die Gefahr, mit unsauberen Geräten und unter unzulänglichen Bedingungen behandelt zu werden, ist dort besonders groß, der Verursacher bei Reklamationen meist schwer oder gar nicht greifbar. Eine Infektion hat man sich schnell eingehandelt. Ebenso kommen gelegentlich allergische Reaktionen gegen die verwendeten Farben vor. Deren Zusammensetzung ist gesetzlich nicht geregelt, entsprechend rätselhaft bleibt, welche möglicherweise kritischen Stoffe darin stecken. Auch Piercing hat seine Tücken. Augenbraue oder Ohrläppchen beispielsweise brauchen acht Wochen zum Verheilen, Lippen drei, Nasenflügel vier, die Brustwarze sechs Monate. Und bis sich Bauchnabel oder Ohrknorpel von dem Eingriff erholt haben, vergeht sogar bis zu einem Jahr. Zudem können langfristig Komplikationen eintreten wie Zahnfleischrückgang und Verlust von Zahnsubstanz, Muskel- und Nervenschäden, Schwellungen, Lähmungen, Probleme beim Stillen oder Nieren- und Harnwegsinfektionen.

Laut “Spiegel” lehnen zwei Drittel der Deutschen Tätowierungen und Piercings ab. Doch die Modewelle hält an und die Geschäfte laufen gut, berichten die Profi-Stecher in der Region. Die Kundschaft beschränkt sich keineswegs auf junge Leute. Alle Altersstufen sind vertreten, sogar 70-Jährige wagen es. Einmal damit angefangen, kommen viele wieder und wieder. “Körperschmuck kann süchtig machen”, beobachtet auch Ilka Weiß. Andererseits boomt zugleich der Markt für Tattoo-Entfernungen. Nicht alles, was für die Ewigkeit gezeichnet ist, gefällt auch nach Jahren noch. Was heute in war, gilt morgen als prollig, verbaut die Chance auf einen Arbeitsplatz oder erinnert an eine längst verblasste Liebe. Das Wegmachen ist mindestens so schmerzhaft, zeitaufwendig, heikel und zudem bis zu zwanzig mal so teuer wie das Aufbringen einer Tätowierung. Und selbst der beste Laser kann kein makelloses Hautbild zurückbringen.

Wichtig zu wissenBeim Body-Painting wird das Motiv oberflächlich aufgetragen und hält etwa ein Vierteljahr. Auch dies ist, ebenso wie so genannte “Bio”-Tattoos, ist nicht ganz frei von Risiken, da sich durch die Farben ebenfalls Allergien und andere Beschwerden entwickeln können.

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- Sommer ist die ungünstigste Jahreszeit für neue Tattoos und Piercings. Für die frische Wunde sind Salz- und Chlorwasser, Sonne und Solarium Gift.

- Schauen Sie genau hin: Seriöse Piercer und Tätowierer klären umfassend auf und weisen auch Kunden ab, etwa bei Kreislaufstörungen, Fieber, Schwangerschaft, Alkoholeinfluss oder wenn Zweifel bestehen, dass die erwachsene Begleitperson von Minderjährigen tatsächlich erziehungsberechtigt ist.

- Der Behandlungsraum muss abgetrennt, gefliest und sauber sein. Zur Ausstattung gehören Waschbecken mit Seifen- und Desinfektionsmittelspender, Wegwerfhandtücher, ein per Fußdruck bedienbarer Abfalleimer mit Deckel. Es dürfen nur Instrumente und Schmuckstücke aus Sterilisationsbeuteln oder -behältern benutzt werden. Der Körperkünstler trägt sterile Handschuhe, entfernt die Haare mit Einmalrasierer, reinigt und desinfiziert die Hautfläche großzügig und füllt die benötigte Farbe direkt vor Beginn des Tätowiervorgangs in kleine Einmalgefäße. Während der Arbeit müssen die Nadeln regelmäßig in einem mit farblösendem Spezialmittel gefüllten Einmalplastikbecher, der in einem Ultraschallbad steht, gereinigt werden.

- In einem seriösen Studio wird der Kunde zum Abschluss über Nachsorge und Verhaltensempfehlungen informiert, damit die die Wunde gut heilt. Erhält man eine Salbe zum Mitnehmen, darf diese nicht mit der Hand, sondern nur mit einem einmalig verwendeten Spatel aus der Großpackung entnommen werden.

- Minderjährige brauchen eine Einverständniserklärung der Eltern - und entwickeln nicht selten Tricks, um dies zu unterlaufen. Ein offenes Gespräch kann hilfreich sein. Gesundheitsaufseherin Ilka Weiß rät: Zeigen Sie Interesse, informieren Sie sich, begleiten Sie Ihr Kind zu einer Beratung im Studio und erklären Sie Ihre Bedenken. Einfühlungsvermögen vermag meist mehr gegen Heimlichkeiten und rebellische Trotzreaktionen auszurichten als ein kategorisches Nein.

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