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Oder was Puzzle-Steinchen mit Gewalt gegen Frauen zu tun haben
Internationaler Tag Gegen Gewalt an Frauen
25.11.2024
Darmstadt-Dieburg. Der Knackpunkt beim Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist in vielen Gesprächen die Wahrnehmung, dass es sich in Fällen von Gewalt gegen Frauen um ein individuelles Beziehungsgeschehen handelt: Ein Paar streitet miteinander, einer flippt aus und schlägt zu. Natürlich findet niemand das in Ordnung, wenn so etwas passiert, aber so etwas passiert halt mal. Der Gedanke, dass dieses Handeln unmittelbar mit gesellschaftlichen Strukturen, Normen, Werten und Rollenbildern verbunden ist und nicht „einfach mal passiert“, ist für viele Menschen sehr abstrakt.
Genau auf diesen Punkt lenkt der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen den Blick. Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist in diesem Umfang vorhanden und möglich, weil in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Frauenbild reproduziert wird, dass Männern einräumt, sich über Frauen erheben zu dürfen. In Abertausenden von Witzen, bildhaften Darstellungen und Bemerkungen werden Frauen und Mädchen tagtäglich in Rollen gedrängt und abgewertet. In Abertausenden kleinen Puzzle-Steinchen setzt sich bei Tätern das Bild zusammen, der Partnerin überlegen zu sein und Macht und Kontrolle über sie ausüben zu dürfen.
„Wenn Sie konkret etwas gegen Gewalt in unserer Gesellschaft tun wollen, dann helfen Sie mit, diese Puzzle-Steinchen zu zerstören. Liken und verteilen Sie keine anzüglichen oder Frauen abwertenden Fotos. Versuchen Sie sich das Lachen über frauenfeindliche Witze zu verkneifen und auch bei anderen den Blick dafür zu schärfen, dass das was auf den ersten Blick lustig scheint, in Wirklichkeit nicht lustig ist, sondern zu einem der tiefgreifenden Probleme in unserer Gesellschaft beiträgt: Gewalt gegen Frauen. Lachen, liken, weiterleiten bedeutet Zustimmung“, erläutert Mareen Hechler, Leiterin des Büros für Chancengleichheit beim Landkreis Darmstadt-Dieburg.
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat in diesen Tagen das Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ veröffentlicht, das erstmals ein umfassendes Bild über die Situation in Deutschland gibt. Hass und Gewalt gegen Frauen sind ein zunehmendes gesellschaftliches Problem, das auch als Teil der Politisch motivierten Kriminalität neu ausgewertet wird. Erstmals in das Lagebild miteingeflossen sind frauenfeindliche Straftaten als Teil Politisch motivierter Kriminalität. Mit 322 Straftaten im vergangenen Jahr wird ein Anstieg um 56,3 Prozent zum Vorjahr verzeichnet. Unter Politisch motivierter Kriminalität definiert das BKA Straftaten, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den politischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen oder sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten.
Die Zahl der Femizide ist im vergangenen Jahr ebenfalls angestiegen: 360 Mädchen und Frauen wurden ermordet. Fast an jedem Tag ein Femizid. Die Auswertung des BKA zeigt auch, dass im Jahr 2023 79,2 % der Menschen, die Gewalt innerhalb der Partnerschaft erfahren, weiblich sind und die Zahl der Betroffenen um 6,4% auf 167.865 Personen angestiegen ist. Die Gewalt an Frauen kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Oftmals wird eine Frau Opfer von Gewalt, wenn sie sich trennen will oder eine neue Beziehung anfangen möchte. Das Besitzdenken des Partners lässt dies aber nicht zu.
Wie ist das Lagebild im Landkreis Darmstadt-Dieburg?
Die Broschüre "Zahlen-Daten-Fakten" des Netzwerks Gewaltschutz gibt einen Einblick, wie sich die Situation im Landkreis und der Wissenschaftsstadt Darmstadt entwickelt hat. Die Zahl der hilfesuchenden Frauen in der Beratungsstelle von Frauen helfen Frauen e.V. in Dieburg ist im Jahr 2023 um 37,5% angestiegen. 297 Frauen mit ihren 91 Kindern haben Hilfe in der Beratungsstelle gesucht. Hier fanden annähernd 1000 Beratungsgespräche statt. „Diese bedrückenden Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit, den Gewaltschutz zu stärken“, so Landrat Klaus Peter Schellhaas, der Gewalt auf das Schärfste verurteilt. „Ich bin angesichts dieser Situation sehr dankbar dafür, dass in diesem Jahr das zweite Frauen- und Kinderschutzhaus im westlichen Teil des Landkreises seinen Betrieb aufnehmen konnten und wir die Zahl der Plätze auf 20 erhöhen konnten“, sagt die Kreistagsvorsitzende Dagmar Wucherpfennig.
Das Büro für Chancengleichheit des Landkreises Darmstadt-Dieburg weist zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen noch auf die Veranstaltungen und Aktionen im Landkreis Darmstadt-Dieburg hin, einsehbar in der Broschüre „Zahlen-Daten-Fakten“. Das Dokument „Zahlen-Daten-Fakten“ mit Veranstaltungshinweisen gibt es im Internet unter www.ladadi.de/gewaltschutz.
Hintergrund
Der 25. November wurde 1981 als Gedenktag gegen Gewalt an Frauen ausgerufen, 1999 wurde er von den Vereinten Nationen als Internationaler Gedenktag anerkannt.