"Eigentlich haben wir das alles selbst hingekriegt"
Auch Behiye G. hat ihre Geschichte erzählt, möchte aber aus persönlichen Gründen ihren vollen Namen nicht nennen. Die 20-Jährige ist in Reinheim aufgewachsen und arbeitet hier nun seit einem dreiviertel Jahr bei der Stadtverwaltung im Gewerbeamt. Sie hat ihre Ausbildung zur Fachangestellten für Bürokommunikation bei der Stadt Darmstadt erfolgreich abgeschlossen, nachdem sie in Reinheim an der Dr. Kurt-Schumacher-Schule den Realschulabschluss gemacht hat. Bankkauffrau zu werden, hätte Behiye G. sich auch vorstellen können, aber ihre Bewerbungen dafür hatten keinen Erfolg. Auch Polizistin wäre in Frage gekommen. „Die Polizei kümmert sich um das Zusammenleben und versucht die Welt vor Ungerechtigkeit zu schützen“. Bei der Stadtverwaltung Darmstadt hat es mit der Bewerbung gleich geklappt. Ihr Beruf gefällt ihr, weil sie gerne anderen Menschen hilft, die mit den Formalitäten der Verwaltung nicht so gut klarkommen. Sie hat sich in ihrer Ausbildung viel Fachwissen angeeignet und Erfahrungen gesammelt. „Ich hab in der Zeit so viel gelernt“, sagt Behiye G..
Behiye G. schreibt gerne und hat schon in der Grundschule Kindergedichte verfasst. „Schreiben ist meine Leidenschaft“, erzählt sie. Manch einer empfahl ihr „Du schreibst so vieles gerne auf. Eigentlich gehörst du in die Verwaltung, oder du solltest Autorin werden“.
Die Arbeit im Reinheimer Gewerbeamt macht ihr Spaß. „Man hat mit so vielen Menschen zu tun und immer wieder neue Aufgaben“. Außerdem lenke sie das Arbeiten ab, da sei sie ganz anders, als sie zuhause ist. „Es gab vieles, um das ich im Leben kämpfen musste. Wenn mir diese Dinge durch den Kopf gehen, dann bin ich froh, wenn mich etwas ablenkt. Wenn ich arbeite ist es wie jetzt: bin ich glücklich und überaktiv“, erzählt Behiye G.
Geboren wurde sie in der Türkei und kam im Alter von etwa zwei Jahren mit ihrer Mutter nach Deutschland. Die deutsche Sprache hat Behiye G. schnell gelernt, wie genau, kann sie nicht sagen. Ihre Mutter ist Analphabetin und spricht nur wenig Deutsch. Deswegen hat es sich eingespielt, dass Behiye G. zuhause deutsch spricht und ihre Mutter ihr kurdisch antwortet. Die Tochter sagt „Meine Muttersprache ist schon ein bisschen wackelig. Mir fehlen da manche Begriffe. Meine Mutter sagt dann, dass sie mich schon versteht, bevor ich da herumstottere“. Die Mutter erzählt ihrer Tochter vieles über ihre kurdische Kultur und das Dorf aus dem sie kommen. Sie sprechen über die Unterschiede zum Leben in Deutschland. „In diesem Dorf entwickelt sich nicht viel weiter. Wenn ich dorthin gehen würde, wüsste ich, wie es dort ist“, meint Behiye G.. In der Türkei war sie, im Gegensatz zu ihren Geschwistern, noch nie. „Tief im Herzen weiß ich zwar, dass meine Wurzeln meiner Heimat gehören, doch fühle ich mich eher von Deutschland angezogen als von meiner Heimat“, sagt die junge Frau, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. „Deutschland ist meine Heimat, ich bin Deutsche mit Migrationhintergrund“, sagt sie.
Dass sie die Schule so gut abgeschlossen hat, daran haben ihre fünf Geschwister ihren Anteil. Sie haben die jüngere Schwester unterstützt. Auch gab es eine katholische Hausaufgabenhilfe für den Fall, dass die Geschwister mal keine Zeit hatten. „Aber eigentlich haben wir das alles selbst hingekriegt“, erinnert sich Behiye G.. „Höhen und Tiefen sind Teile unseres Lebens, die wir mit viel Geduld und Mühe überwinden müssen“, findet sie. Ihr Freundeskreis ist international, auch Türken gehören dazu. Gelegentlich kriegt sie dann zu hören „Ihr seid doch Kurden, ihr habt doch Streit mit den Türken“. Dann sagt sie nur „In erster Linie steht für mich der Mensch im Vordergrund. Ich unterteile die Menschen nicht in Kategorien wie beispielsweise Nationalität oder Religion. Mensch ist Mensch. Wir haben nichts mit all dem zu tun, das ist die Politik, die das veranstaltet. Die Politik ist der Hauptpfeiler, der die Menschen in zwei Blöcke teilt“.
Für ihre Zukunft hat Behiye G. noch viele Ideen. Vielleicht wird sie bald ein Buch veröffentlichen. „Ich habe Kontakt mit einer Autorin, die hilft mir dabei“. Beruflich sieht sie ihren Platz zunächst weiterhin in der Verwaltung. Auch möchte sie gern das Fachabitur machen. „Ob ich dann studieren möchte, das ist wieder ein ganz anderes Thema. Da interessiert mich das Filmmanagement, was hinter den Kulissen passiert oder wie Filme geschnitten werden“, sagt Behiye G..